Translatio et Renovatio Imperii

Konzept

Dass Imperien kein Ding der Vergangenheit sind, sondern bis heute aktuelle und wirkmächtige Konzepte, wurde gerade in den letzten Wochen durch die russische Invasion der Ukraine und den Versuch einer Legitimierung bewiesen, die nicht nur imperialistisch, sondern im historischen Sinne auch „Imperial“ ist. Die Imperienforschung hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Der Begriff „Imperium“, meist definiert als politische Großmacht mit universellem Anspruch, ist ein sehr spezifisches politisches Konstrukt, das in den meisten großen Zivilisationen der Weltgeschichte vorkommt. In der neueren Forschung werden in der Regel weit voneinander entfernte und größtenteils unverbundene Imperien über Zeit und Raum hinweg verglichen. Einerseits werden dabei für jedes Imperium spezifische, unverwechselbare Besonderheiten festgestellt, andererseits sprechen viele Parallelen dafür, dass alle Imperien gleichermaßen von einer Dynamik des Wachstums, des Höhepunktes und des Niedergangs geprägt sind. Eine andere Gemeinsamkeit besteht darin, dass ein „Imperium“ nie nur auf seine bloße materielle Realität beschränkt ist, sondern immer auch komplexe Ideologien einschließt, die von den herrschenden Eliten produziert, wiederholt oder verändert werden und meist über das politische Bestehen eines Imperiums hinaus bleibenden geistigen und politischen Einfluss ausüben.

Trotz vielversprechender komparatistischer Einsichten ist allerdings ein Aspekt immer noch unterbelichtet geblieben, der im Zentrum der geplanten Tagung stehen soll: die Legitimation imperialer Herrschaft als Erneuerung (renovatio) oder als Nachfolge (translatio) jeweils früherer Imperien. Diese Strategien spielten von der menschlichen Frühgeschichte über Antike und Mittelalter bis in die Neuzeit eine wichtige Rolle (wobei im abendländischen Raum natürlich der Gedanke von der „Roma aeterna“ die bedeutendste Rolle spielt) und prägen selbst, wenn auch in verändertem Gewand, die europäische Gegenwart. Nicht nur die Totalitarismen, wie etwa Hitlerdeutschland oder Stalins Sowjetunion, sondern auch die liberalen Demokratien bemühten und bemühen sich um den Anschluss an eine idealisierte Vergangenheit, um sich in eine historische Kontinuität zu setzen und die dementsprechenden Affekte zu mobilisieren – man denke nur an den eng mit der Selbstdarstellung der EU und der europäischen Einigung verknüpften „Karlspreis“. Selbst die deutsch-polnischen Beziehungen sind (trotz des weitgehenden Wegfalls imperialer Ambitionen) ohne das Fortwirken von Hoffnungen auf Erneuerung oder Kontinuität alter historischer Vorbilder kaum zu verstehen, bedenkt man etwa die staatspolitisch immer noch einflussreichen Modelle des jagiellonischen Staates auf der einen oder des Sacrum Imperium auf der anderen Seite. Denn nicht nur die Europäische Union, auch Politik und Zivilgesellschaft in Polen und Deutschland bemühen sich in einer Zeit des Umbruchs und der Herausforderung, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen – so kritisch, wie diese es erfordert; so konstruktiv, wie sie es verdient.

Ein erster Block der geplanten Tagung wird sich mit ausgewählten Beispielen für die oben umschriebene Fragestellung aus verschiedensten Perioden der Vormoderne in so verschiedenen geographischen Zonen wie Europa, Afrika, dem Vorderen Orient und Ostasien auseinandersetzen. Nach einer allgemeinen thematischen Einleitung durch Justyna Schulz (Poznań) wird sich Thomas Zimmermann (Ankara) mit der hethitischen Geschichte, Altay Coşkun (Waterloo ON) mit einem Rückblick auf die eisenzeitlichen Großreiche aus hellenistisch-jüdischer Perspektive, Rabbi Ben Scolnic (Hamden CT) mit dem rabbinischen Judentum und frühen Christentum, Germain Payen (Rouen) mit der iranisch-nomadischen Grenze der antiken Welt, Loic Borgies (UNamur) mit den Parallelen zwischen dem römischen Principat und dem chinesischen Han-Reich, Augustine Dickinson (Hamburg) mit dem mittelalterlichen Äthiopien und Stone Chen (Waterloo ON) mit langfristigen ideologischen Kontinuitäten im chinesischen Raum beschäftigen.

Ein zweiter Block konzentriert sich auf das moderne Europa mit Schwerpunkt auf dem deutsch-polnischen Raum. Zdzisław Krasnodębski (Bremen) wird die deutsch-polnischen Beziehungen der Neuzeit diachron im Kontext imperialer Legitimationsstrategien analysieren. Grzegorz Lewicki (Gdańsk) wird die Konzepte von Multikulturalismus und Feudalismus im jagiellonischen und osmanischen Reich sowie ihre ideologische Entwicklung kritisch miteinander vergleichen. Henrieke Stahl (Trier) wird die Präsenz historischer Traumata in der osteuropäischen Poesie betrachten. Grzegorz Kucharczyk (Gorzów / Warszawa) wird sich mit dem Mitteleuropa-Plan Friedrich Naumanns auseinandersetzen und diesen in die Kontinuität deutscher Reichsbildung setzen. Misia Doms (Mannheim / Pädagogische Hochschule Niederösterreich) wird dem imperialen Phantomschmerz in der Literatur der österreichischen Nachkriegszeit nachspüren. Jörg Baberowski (Berlin) wird sich mit der Renaissance allrussischer imperialer Vorstellungen von Stalin bis Putin beschäftigen. Magdalena Bainczyk (Kraków) wird die Streitigkeiten bezüglich der Bestimmung der genauen rechtlichen Natur der Europäischen Union analysieren. Gerd Morgenthaler (Siegen) wird die Konstruktion der Europäischen Union in das Spannungsfeld zwischen supranationaler, quasi-weltstaatlicher Konstruktion und imperialer Tradition setzen.

David Engels (Poznań / Bruxelles) wird schließlich versuchen, die verschiedenen vorgestellten Konzepte und Entwicklungen zusammenzufassen und am Beispiel des Posener Stadtschlosses zu illustrieren: Erbaut für Wilhelm II. als Gegenentwurf zur alten polnischen Jagiellonenburg, später aufwendig renoviert als Residenz für Adolf Hitler, im Kommunismus schließlich genutzt als Stadtverwaltung und Universität, bietet der Bau wie kaum ein zweiter einen Überblick über verschiedenste Typen imperialer Herrschaftskonstruktionen und Nachfolgelegitimationen im 20. Jh.

Die geplante Tagung wird nicht nur bislang weitgehend unverbundene Gruppen von Wissenschaftlern aus allen Etappen der akademischen Laufbahn und aus so unterschiedlichen Wissenskulturen wie Kanada, Deutschland, Polen und einigen weiteren in Kontakt miteinander bringen; sie wird auch und vor allem Möglichkeit zum kritischen und konstruktiven Austausch verschiedener Geschichtsbilder geben. Dabei soll es nicht nur um ein wohlwollendes „Verständnis“ für die historische Bedingtheit der verschiedenen gegenwärtigen Weltsichten und der Wahrnehmung des jeweils anderen gehen, sondern auch und vor allem um die Einsicht in die Mechanismen, welche jenseits der konkreten geschichtlichen Verankerung einer jeden Zivilisation politische und propagandistische Dynamiken bedingen und bestimmen. Gerade im 21. Jh., wo wir nicht nur das Wiederaufleben vieler bisher totgesagter Ideologien erleben, sondern auch mehr denn je um eine Vertiefung der europäischen Zusammenarbeit streiten müssen, die gegenwärtig nicht nur von einer Kluft zwischen Nord und Süd, sondern auch Ost und West bedroht ist, scheint eine solche Objektivierung und Relativierung dringender denn je.

Um in dieser Hinsicht auch über den rein wissenschaftlichen Bereich auf die Zivilgesellschaft einwirken zu können, wird die Tagung nicht nur für ein breiteres Stadtpublikum zugänglich sein, sondern aufgezeichnet und nach entsprechender Sichtung und ev. Überarbeitung auch im Video- und Buchformat veröffentlicht werden.

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